Wie die DJs Sedef Adasï, Bashkka und DJ Gigola gerade den Status Quo der Branche aufbrechen (2024)

“Mehr als Party”: Ein Treffen mit Sedef Adasï, Bashkka und DJ Gigola

Zu unserem Shooting an einem der ersten kalten Wintertage in Berlin haben Sedef Emini (aka Sedef Adasï), Bashkka und Paulina Schulz (aka DJ Gigola) auch eigene Kleidung mitgebracht. Aus Sedef Eminis Koffer kommen vor allem Blazer und Zweiteiler hervor. Office-Looks entsprechen auch ihrer präferierten Arbeitsgarderobe als DJ, wie sie erklärt. „Ich gehe ja zur Arbeit und möchte dabei so seriös wie möglich wirken!“ Als Sedef Adasï (benannt nach einer der Prinzeninseln bei Istanbul) legt sie heute in den anerkanntesten Clubs und auf Festivals weltweit auf, ist seit Jahren Resident DJ im Münchner Electro-Club „Blitz“ und seit April 2022 auch in der Berliner „Panorama Bar“ – und damit eins der offiziellen Aushängeschilder des legendären „Berghains“, dem vielleicht bekanntesten Club für elektronische Musik überhaupt. Darum, als DJ beruflich ernst genommen zu werden oder serös zu wirken, muss sie sich eigentlich keine Sorgen mehr machen.

Sommer im Kellerclub und Identifikationsfiguren in New York: Wie Sedef Adasï, Bashkka und DJ Gigola zum Auflegen kamen

Sie kommt aus Augsburg, wo sie bis heute auch lebt. Schon als Teenie brennt sie gern Mixtapes auf CDs und ist innerhalb der Familie diejenige, die die Musik für lange Autofahrten zusammenstellt. Später sieht sie auf Partys erstmals DJs spielen und ist fasziniert. Sie beschließt, selbst auflegen zu lernen. Der erste Rückschlag kommt allerdings im Plattenladen – für teures Equipment hat sie nicht das Geld, ihre Eltern ebenfalls nicht. Irgendwie macht sie weiter, legt auf Partys mit YouTube auf und tastet sich, auch mit Unterstützung durch ihren computerbegeisterten Schwager, an verschiedene Computerprogramme und Tools heran. „Es ist ja immer so ein Vorurteil, dass Frauen oder Mädchen nicht so technikgewandt sind, dabei wird uns einfach nur Angst gemacht von klein auf, und wir trauen uns erst gar nicht!“ Sie spielt auf Privatpartys, Hochzeiten, Shopping-Nights und vielem mehr. Irgendwann werden die ersten Clubs auf sie aufmerksam, und sie erhält Zugang zum „richtigen“ Auflegen – und einen Schlüssel zu einem lokalen Club. „Im Sommer, wenn alle schwimmen waren, stand ich bei 30 Grad im Keller und hab aufgelegt und stundenlang versucht, irgendeinen Übergang hinzubekommen. Ich hatte nie ein eigenes Set-up zu Hause, ich hab das alles im Club gelernt“, sagt sie.

Sedef Adasï beim Shooting in Berlin. Set aus Bikerjacke und Minirock von SF1OG. Schuhe von LOUIS VUITTON, Socken von FALKE.

Foto: Ricarda Haehn. Styling: Kamilla Richter. Haare: Kosuke Ikeuchi. Make-up: Julia Barde

Ihre bayerische Herkunft, den ICE zum VOGUE- Shooting und oft genug auf Partys die Plattenteller teilt Sedef Emini sich mit Bashkka. Ihr Künstlerinnenname beruht auf dem türkischen Wort „başka“, was „anders“ bedeutet. Bashkka kommt aus einer türkischen Familie, aufgewachsen ist sie in München, doch musikalisch und persönlich gefunden hat sie sich in den elf Jahren, die sie in New York verbrachte. Ursprünglich gekommen, um Musiklehre zu studieren, muss sie ihr Studium bald aus Kostengründen abbrechen, verliebt sich und bleibt. Sie taucht in die Ballroom-Szene und lokale Clubkultur ein und stößt hier auf ihre „chosen family“ – und auf musikalische Identifikationsfiguren. „Bei meinem Werdegang haben mir Vorbilder und Mentor:innen enorm geholfen. Was mich wirklich sehr inspiriert hat und meinen eigenen Horizont geöffnet hat, war, als ich in New York das erste Mal Honey Dijon habe spielen sehen. (Anmerkung der Redaktion: trans DJ und Producerin, die sich insbesondere für die Rechte ihrer Community einsetzt.) Das war so ein Moment, in dem ich gemerkt habe, okay, das könnte ich auch machen, es gibt auch einen Platz für mich“, erzählt Bashkka. Sie produziert und schreibt Musik für andere, nach ihrem ersten Einsatz als DJ kommt sie auf den Geschmack. Als sie 2016 nach Deutschland zurückkehrt, bringt sie ihren selbstbewussten, sexy New-York-Sound mit; sie fängt an, mit einem queeren Künstler:innenkollektiv zusammenzuarbeiten und Partys zu veranstalten. Dort wird David Muallem, Geschäftsführer des „Blitz“ in München auf sie aufmerksam und bietet ihr eine Residency in dem international bekannten Techno-Club an. Ende 2022 spielt sie ihr „Berghain“-Debüt, Anfang dieses Jahres veröffentlicht sie ihre Debüt-EP, es folgt ein Sommer mit Stopps auf internationalen Festivals, unter anderem dem legendären britischen Glastonbury.

Die DJ aus München wurde vor allem durch ihre Begegnungen mit der Ballroom- und Clubszene in New York geprägt. Sie trägt einen Komplettlook von BALENCIAGA und eine Kette von ASTERISKFoto: Ricarda Haehn. Styling: Kamilla Richter. Haare: Kosuke Ikeuchi. Make-up: Julia Barde

2016 war auch in Paulina Schulz’ Werdegang als DJ ein zentrales Jahr – Anfang des Jahres lernt sie über einen Freund das Berliner Künstler:innenkollektiv Live From Earth kennen und schließt sich der damals noch weniger bekannten Gruppe als DJ Gigola an. Bis dahin hatte sie sich vor allem privat mit Musik auseinandergesetzt, elektronische Musik gesammelt und sich damit in ihrem Home-Set-up und gelegentlich auf Geburtstagen, in Bars oder kleinen Clubs ausprobiert. „Ich bin in Berlin groß geworden, und das Letzte, was ich mir vorgestellt habe, war, DJ zu werden, weil das die Stadt der DJs ist. Aber irgendwie hat mich meine Leidenschaft für Musik eingeholt“, so Schulz. 2017 schließt sie ihr Medizinstudium ab, seitdem widmet sie sich ganz dem Auflegen und Live From Earth. Unter ihrem Mitwirken entwickelt es sich zu einem der angesagtesten Musikkollektive des Landes mit Modekollektion, begehrten Partys und einer eigenen Labelnacht in der „Panorama Bar“. DJ Gigolas Kalender ist vollgestopft mit internationalen Bookings, Anfang des Jahres hat sie zudem ihr erstes eigenes Album veröffentlicht, das entgegen ihrem sonstigen Sound, der oft an Neunziger- oder Nuller-Techno erinnert, eher meditativ klingt. Mehr musikalische Fluidität beobachtet sie auch bei ihrem Publikum: „Früher war das klar getrennt – es gab House, Techno, Minimal. Das ist jetzt viel vermischter. Und dadurch, dass die Stile viel vermischter geworden sind, sind die Leute auch offener, neue Dinge zu hören.“

Paulina Schulz ist seit 2016 als DJ Gigola Teil des Künstler:innen- kollektivs Live From Earth. Sie trägt ein Lederkleid von MARNI. Schuhe, privatFoto: Ricarda Haehn. Styling: Kamilla Richter. Haare: Kosuke Ikeuchi. Make-up: Julia Barde

Gegen starre Genrevorschriften

So unterschiedlich ihre Wege und ihr Zugang zum Auflegen auch sind, Sedef Adasï, Bashkka und DJ Gigola stehen für eine neue Generation an DJs, die nicht nur starre Genrezuordnungen grundsätzlich ablehnen, sondern auch durch ihr Schaffen und ihre sehr erfolgreiche Teilhabe an der elektronischen Musikszene dafür sorgen, den Status quo dieser zu verändern. „Die Öffnung lässt sich auch auf die Strukturen dahinter übertragen; darauf, wer spielt und aus welchem Background die Person kommt“, sagt Schulz. „Onlinedebatten und Bewegungen wie etwa #blacklivesmatter haben gezeigt, dass man Minderheiten und marginalisierten Gruppen mehr Raum geben muss, gerade in unserer Community, der Clubkultur, die eigentlich aus einer marginalisierten Gruppe entstanden ist. Da hat sich vieles verändert, es ist aber auch noch viel Luft nach oben.“

Wie Schulz sieht auch Emini die Pandemie als Startpunkt einer Zeitenwende und Zäsur in Sachen Teilhabe hinterm DJ-Pult. „Die Clubszene der letzten 30 Jahre war sehr weiß und männlich geprägt; es gab nicht viel Spielraum für Veränderungen. Natürlich hat man sich darum bemüht, aber als Frau oder Teil einer Minderheit einfach nicht die Anerkennung der Promoter oder der DJs bekommen, mit denen man sich eine Bühne geteilt hat“, erzählt sie. „Nach Corona gab es da eine Wende, die Leute haben innegehalten und den Status quo reflektiert. Heute gibt es viel mehr queere Partys, Kollektive und Personen, die in der Szene erfolgreich sind; es gibt mehr Frauen, die endlich den Mut haben, aufzulegen oder es zu lernen, und sich nicht verstecken, sondern zusammentun und Räume schaffen. Es geht auf jeden Fall in die richtige Richtung, aber wir haben noch viel vor uns.“

In Augsburg machte Sedef Emini (als Künstlerin Sedef Adasï) ihre ersten Schritte als DJ, ihr ist es wichtig, auch weiterhin die Clubkultur in kleineren Städten zu unterstützen. Sie trägt ein Set aus Bikerjacke und Minirock von SF1OGFoto: Ricarda Haehn. Styling: Kamilla Richter. Haare: Kosuke Ikeuchi. Make-up: Julia Barde

Über Repräsentation und Equal Pay in der elektronischen Musik: Viel Luft nach oben

Diesen langsamen, aber steten Wandel belegen auch die Zahlen. Das feministische Netzwerk female:pressure analysiert die Geschlechterverteilung von Künstler:innen auf elektronischen Musikfestivals weltweit in seiner Studie „FACTS“, die erstmals 2013 und seit dem viermal herausgegeben wurde. Vom Untersuchungsstart an nahm der Anteil der weiblichen Acts auf den miteinbezogenen Festivals (insgesamt 833 in 48 Ländern) zu: Waren es in der Festivalsaison 2012 noch 9,2 Prozent, kam der Anteil in der zuletzt untersuchten Periode 2020/21 immerhin auf 26,9 Prozent. 1,3 Prozent waren außerdem non-binäre Acts, 9,1 Prozent gemischtgeschlechtlich. Dem gegenüber steht noch immer der Löwenanteil von 59,1 Prozent männlichen Acts.

„Besonders in den Punkten Equal Pay und Repräsentation kann noch eine Menge getan werden“, sagt Bashkka über die Veränderungen in der Branche. In der Liste der 15 bestverdienenden DJs weltweit taucht auch 2023 keine einzige Frau auf. „Ich denke schon, dass weiblich gelesene Menschen heute mehr Möglichkeiten haben, als DJ ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Es wird allerdings leider systemisch immer noch differenziert. Es hängt viel davon ab, ob man in die demografischen Checklisten passt, ob man gewisse Normative erfüllt und sich dem Status quo anschließt“, fährt Bashkka fort. „Ich als Person mit marginalisiertem Background sehe da deutliche Unterschiede, was jemand wie ich – auch in Sachen Gage – geboten bekommt und jemand, der alles auf diesen Checklisten erfüllt.“ Auch ihre Agentur und ihren Booker habe sie anfangs gefragt, ob diese sich darüber im Klaren seien, für Bashkka, eine nicht weiße trans Frau, „wahrscheinlich 20-mal härter verhandeln zu müssen als für jemand anderen, der in all diesen Checklisten vorkommt, die das Konstrukt unserer Gesellschaft einem diktiert.“

Bashkka

Foto: Ricarda Haehn. Styling: Kamilla Richter. Haare: Kosuke Ikeuchi. Make-up: Julia Barde

Was denkt sie, könnte helfen, um da einen Wandel voranzutreiben? „Grundlegend wichtig ist, dass in höheren Positionen Leute sitzen wie ich, mehr Frauen, mehr weiblich gelesene Menschen, die zugunsten von uns Entscheidungen treffen. Da sollte und muss es anfangen“, meint Bashkka. Auch der „FACTS 2022“-Report bestätigt, dass Festivals unter weiblicher kreativer Führung insgesamt dazu tendieren, mehr Wert auf Diversität in den Bookings zu legen. Der Grund für geschlechtlich nicht ausbalancierte und zu wenig diverse Festival- und Club-Line-ups ist nicht der Mangel an spannenden DJs und Künstler:innen auf Top-Niveau, die diese bereichern würden. Der Grund ist – wie in allen Bereichen struktureller Benachteiligung – ihre schlechtere Sichtbarkeit und Repräsentation an den Orten, wo Entscheidungen getroffen werden.

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